Silents Sideview #5: Warum jeder Wrestlingfans die ARD-Dokumentation „Bastards“ sehen sollte

17.01.22, von Benjamin "Cruncher" Jung

In der Kolumne „Silents Sideview“ blickt unser Teammitglied und Podcaster Silentpfluecker (aka Andreas) in unregelmäßigen Abständen auf aktuelle Themen des Mainstreamwrestlings aus den USA. Anders als sonst bei unseren News stehen in dieser Kolumne subjektive Eindrücke im Vordergrund.

Wrestling-Dokumentationen gibt es mittlerweile viele. Die bekanntesten sind vielleicht „Wrestling with Shadows“ (deutscher Titel: „Die heimliche Wut des Catchers Hitman Hart“), in der Bret Harts Sichtweise auf die Geschichte rund um den legendären Montreal Screwjob ebenso wie sein Privatleben beleuchtet wird, „Dark Side of the ring“, die sich mit den dunkelsten Kapiteln des Wrestlings auseinandersetzt, oder „Beyond the mat“, in der die Schicksale von Mick Foley, Terry Funk und Jake Roberts sowie eher nebenbei, und eigentlich dann doch wieder schwerpunktmäßig, das Selbstverständnis der WWE gezeigt werden.

Braucht es „Bastards“ überhaupt?

Hat vor diesem Hintergrund eine deutsche Wrestling-Dokumentation überhaupt noch eine Bedeutung oder zumindest eine Daseinsberechtigung? Kann sie mehr (oder etwas Neues) über das Faszinosum Wrestling erzählen als schon bekannt ist? Oder vereinfacht gefragt: Braucht es die seit dem 4. Januar in der ARD-Mediathek (derzeit auch auf Youtube) abrufbare Doku-Serie „Bastards“ überhaupt?

Die Antwort ist ein klares Ja!

Hierfür gibt es mehrere Gründe. Zum einen handelt es sich bei „Bastards“ um eine Prodiktion der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten. Wenn sich eine Anstalt des öffentlichen Rechts (hier der hessische Rundfunk) mit einem aus Mainstreamsicht eher als „schmuddelig“ angesehenen Thema auseinandersetzt, weckt allein schon dies beim gemeinen Wrestlingfan per se Neugierde, aber auch vor allem Skepsis. Zu sehr dürfte sich bei vielen der Verdacht einer von Vorurteilen geprägten Berichterstattung heranschleichen.
Dieser Verdacht stellt sich allerdings nach dem Schauen der Serie als unbegründet heraus. Die Doku besteht aus Interviews, einigen wenigen eingeblendeten Texten sowie vielen bewegten Bildern aus dem Ring oder dem Privatleben der Akteure. Mehr gibt es nicht! Was auf den ersten Blick minimalistisch erscheinen mag, stellt sich letztlich als das große Plus von „Bastards“ heraus. Die Serie verzichtet völlig auf reißerischen Sensationsjournalismus oder eine (heute kaum mehr wegzudenkende) alles kommentierende und zugleich süffisant bewertende Stimme aus dem Off, ohne die reißerische Pseudodokus auf Netflix oder RTL fast gar nicht mehr denkbar sind. Es bleibt bei Bildern und den Aussagen der Protogonisten. Wie viel das Wert ist, wird gerade in der zweiten Staffel deutlich. Es wird gerade dann viel gesagt, wenn keine Stimmen mehr zu hören sind und man als Zuschauer mit den Bildern und Fakten alleine gelassen wird und diese auf sich wirken lassen muss.

Der andere Grund, der „Bastards“ unbedingt sehenswert macht, ist die Tatsache, dass es nicht nur um Wrestling als solches geht (wenngleich dies natürlich letztlich Thema und eigentlicher Aufhänger ist). Auch das Schicksal der – erst zwei, dann drei, am Ende sogar vier (Maggot, Prince Ahura, Baby Allison und Aaron Insane) – Protagonisten ist jedenfalls nicht zwingend der eigentliche Schwerpunkt. Das Besondere an der Serie liegt nach hier vertretenem Sichtwesie vielmehr darin, dass die eben genannten Aspekte mit der deutschen Wrestlingszene, insbesondere natürlich der wXw, kombiniert werden. Man lernt nicht nur Wrestling als solches kennen, verfolgt nicht nur den Weg der Protagonisten, sondern kann als interessierter Außenstehender viel über die Historie, die Gegenwart und das Wesen des Wrestlings speziell in Deutschland erfahren. Dies alles ohne Vorurteile vorzustellen, dabei den Workern und Promotern nicht nur das letzte, sondern alle Wörter zu geben, das ist am Ende das Besondere von „Bastards“.

Worum geht es in der Serie?

Über den Inhalt, zumindest so, wie er sich beim bloßen Anschauen der Serie darstellt, scheint schnell alles gesagt. Und doch bietet die Serie so viel mehr. In der ersten Staffel wird der Weg des Tag Teams „Pretty Bastards“ (bestehend aus Maggot und Prince Ahura) gezeigt. Dabei wird zunächst neben der Persönlichkeit der beiden und ihrem Willen, es „zu schaffen“ (natürlich fallen auch die drei großen Buchstaben WWE) und „vom Wrestling leben zu können“, auch das Vorurteil vieler präsentiert, wonach Wrestling doch eigentlich nur „fake“ sei und doch gar kein richtiger Sport. Interessant ist es dabei zu sehen, wie die beiden davon berichten, dass natürlich auch sie mit diesen Vorurteilen in ihrem Leben immer wieder konfrontiert wurden und wie sie damit umgegangen sind. Eine besonders deutliche Sprache spricht die Serie dann bei der Verletzung von Maggot und was dies für einschneidende Konsequenzen für aufstrebende Talente haben kann.

In der zweiten Staffel blüht die Serie dann richtig auf. Hier rücken neben den Bastards mit Baby Allison und Aaron Insane zwei weitere Charaktere in den Vordergrund. Damit bleibt der Fokus der Serie zwar auch in der zweiten Staffel auf den Bastards, aber spannend ist insbesondere der Fakt, dass in Form von Allison nun eine Frau mit in die erste Reihe rückt und somit ganz neue Blickwinkel eröffnet werden. Während sich damit die erste Staffel auf die Bastards und ihre Entwicklung konzentrierte, wird in der zweiten Staffel das Wrestling als solches in den Vordergrund gerückt und anhand der Schicksale der Protagonisten gezeigt. Und gerade hierdurch wird die Serie in der zweiten Staffel so gut. Beim Thema „Deatch Matches“, hier hat natürlich Thumbtack Jack viel zu erzählen, fehlen vielen Workern zunächst einmal die vermeintlich angemessenen Worte. Noch deutlicher wird das Diskussionspotential beim Thema „Rock’n’Roll Wrestling Bash“, bei dem gerade Showelemente und Rockmusik im Vordergrund stehen, während „klassisches“ Wrestling in den Hintergrund rückt. Während Maggot sich diesbezüglich offen bis sogar begeistert zeigt, versucht Prince Ahura gar nicht erst, seine Abneigung gegen beides zu verbergen. In der Tat hat die Serie hier zwei der ganz großen Reizthemen des Wrestlings an der Angel. Denn wer sagt, dass es sich bei Death Matches und dem Bash nur um reine Show handelt, bei dem der sportliche Aspekt und die technischen Skills eher in den Hintergrund treten, muss sich zumindest fragen lassen, warum dies nicht auch als Kunst- oder Unterhaltungsform anerkannt sein soll, als was sich ja auch das klassische Wrestling sieht, welches sowohl den Bash als auch die „Death Matches“ kritisch bzw. sogar abwertend betrachtet. Stark an der Doku ist hier, dass sie keine Wertung in die eine wie die andere Richtung propagiert, sondern wie gesagt einfach die Worker und Promoter zu Wort kommen lässt.

Besonders wichtig sind ferner die Darstellung der „Speaking out“-Debatte sowie – natürlich – der Corona-Pandemie. Jeder weiß, dass Corona für die Indies ein Stoß ins Herz war bzw. immer noch ist und dass die Worker ebenso wie die ganze Unterhaltungsbranche darunter zu leiden haben. Aber diese Serie gibt dieser Tragik konkrete Gesichter und rückt einzelne Personen in den Vordergrund, indem sie die Einzelschicksale der Bastards und Baby Allison zeigt. Die Bastards hätten eigentlich im Rahmen der Mania-Week erstmals in Amerika auftreten sollen. Gleiches galt für Allison, die sich nach harter Arbeit bereit für den im Wrestling so wichtigen nächsten Schritt sah. Corona stoppte diese Entwicklung abrupt. Und wenn man sieht, wie die Serie dies darstellt, wie die Protagonisten menschlich darunter leiden, dann kann man zumindest erahnen, was Wrestler in den Indies für ihren Traum, der zugleich auch ein „Way of life“ ist, alles investieren und riskieren. Und wie weit die Pandemie sie zurückwarf.

„Bastards“ ist ein Must see!

Die Tatsache alleine, dass es eine Wrestling-Doku der „Öffis“ gibt, ist für sich gesehen wohl schon etwas Besonderes. Dass „Bastards“ es darüber hinaus sogar schafft, so viel über das Phänomen Wrestling zu vermitteln und dabei einzelne Schicksale zu beleuchten, ohne in bekannte Klischees abzudriften, das ist vielleicht sogar ein kleines Fest, das es als ein über den Tellerrand blickender Fan zu feiern gilt.
Um mit den Worten Alex Wrights aus unserem Podcast von 2018 zu sprechen: Leute, wenn ihr Wrestling supporten wollt, dann geht in die Hallen, macht dort Stimmung, kauft das Merchandise der Worker und folgt ihnen in den sozialen Medien.
Wenn euch all das in der jetzigen Zeit zu gefährlich ist (wer würde dies nicht verstehen?), dann schaut wenigstens diese Dokumentation. Nicht nur Maggot, Prince Ahura, Baby Allison und Aaron Insane sowie alle anderen ihren Traum lebende Worker hätten dies verdient, sondern auch Wrestling als solches (bei allem Negativen dieses Sports, worüber auch in der Serie richtigerweise immer wieder gesprochen wird).

So long.

PEACE AND LOVE

Silent


Vergangene Ausgaben der Kolumne findet ihr hier:
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Neben dieser Kolumne bespricht Silent zusammen mit Chr!s jede Woche das aktuelle Geschehen in der Wrestlingwelt im „W-IPin Wrestling Weekly“ Wochenrückblick-Podcast hier auf dieser Seite. Hört bei Interesse gerne rein. Finden könnt ihr alle Podcasts hier:
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Und wenn ihr Kritik oder Fragen zur Kolumne oder zum Rest der Welt habt, dann schreibt gerne eine E-Mail an folgende Adresse: andreas.s@wrestling-infos.de




7 Antworten auf „Silents Sideview #5: Warum jeder Wrestlingfans die ARD-Dokumentation „Bastards“ sehen sollte“

gidoru90 sagt:

Hallo Andreas,

ich hab die Empfehlung bei den Kollegen von Spotfight schon gehört. Allerdings hat mich deine Kolumne extrem überzeugt und heiß gemacht! Du hast die Serie richtig gut over gebracht. Ich werde es mir definitiv anschauen.

Viele Grüße
Gio

Silentpfluecker sagt:

Das freut mich. Das Ding ist echt einen Blick wert. 🙂

Alex Z sagt:

Ich in vor ein paar Wochen zufällig auf die Doku gestoßen und war von der erste Minute gefesselt. Ich bin seit den 90er immer wieder beim Wrestling hängen geblieben und verfolge jetzt seit mehr als 10 Jahren die WWE-, Impact-, AEW-Shows und News. Ab sofort wird die Indy-Szene mehr verfolgt und wenn möglich auch supportet.

Die Serie Heels kann ich auch wärmstens empfehlen.

Neddard sagt:

Habe mir die erste Staffel schon nach eurem Podcast angesehen und auch wenn ihr sie schon positiv gelobt habt, war ich dennoch überrascht wie gut die Doku ist.
Ich freu mich jetzt umso mehr auf Staffel 2.
Denkt ihr darüber nach in einigen Wochen vielleicht mal einen Podcast Schwerpunkt zu der Doku zu machen? Vielleicht in einer Woche in der beim Marktführer nichts los ist?

Silentpfluecker sagt:

Das machen wir und haben wir ja auch schon angekündigt im Podcast. Es wird eine Audio-Besprechung geben. 🙂

Stone sagt:

Absolute Zustimmung!

Habe mir die Doku-Serie in der letzten Woche angesehen. Es ist unheimlich beeindruckend, mit welcher Leidenschaft und mit welchem Herzblut die Protagonist*innen sich in die Wrestling-Landschaft einbringen.
Meinen größten Respekt aber habe ich vor deren Opferbereitschaft. Damit meine ich nicht irgendwelche verrückten Stunts im Ring. Nein, die Zeit die investiert wird, die ganze Unsicherheit im Bezug auf Bookings, die finanzielle Gesamtsituation und dann auch noch einen Nebenjob bewältigen.
Ich ziehe meinen Hut!

Ich hoffe auf eine dritte Staffel.

Uli sagt:

Vielen Dank für den Hinweis. Wirklich gute Doku.
Könnte jemand vom Euch diese Doku bei „IMDb“ anlegen, das ist immer gut für den Bekanntheitsgrad.

Leider scheint man die beiden bei WxW schon vor Ahuras vorläufiger Suspendierung als Team getrennt zu haben.

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