Silents Sideview #3: Kritik zu AEW „Full Gear 2021“: Ein großes Wrestlingfest!

14.11.21, von Benjamin "Cruncher" Jung

Quelle: All Elite Wrestling

In der Kolumne „Silents Sideview“ blickt unser Teammitglied und Podcaster Silentpfluecker (aka Andreas) in unregelmäßigen Abständen auf aktuelle Themen des Mainstreamwrestlings aus den USA. Anders als sonst bei unseren News stehen in dieser Kolumne subjektive Eindrücke im Vordergrund.

Im Vorfeld wirkte die Card von „Full Gear“ überragend. Was bleibt aber, nachdem der PPV nunmehr Geschichte ist? Wie immer dürften die Meinungen hier auseinandergehen. Für mich steht aber fest, dass hier eine der besten Wrestlingshows des Jahres über die Bühne gegangen ist. Es war stellenweise wie eine wilde Fahrt, die eigentlich alles abdeckte, was Wrestling ausmacht: Es gab Technik, Brawls, Spots, Comedyunterhaltung und hochklassiges Wrestling. Jedes Match hatte seinen eigenen Schwerpunkt bzw. seine eigene Geschichte.

Schon der Opener machte deutlich, in welche Richtung es gehen würde und wofür diese AEW-Show stehen sollte. MJF und Darby Allin stehen sowohl für die Zukunft als auch schon für die Gegenwart von All Elite Wrestling. Dieses Match stand also gewissermaßen für die Liga als solche – und musste eigentlich abliefern. Gelang es den beiden? Aus meiner Sicht zu 100%! Auch wenn der Vergleich natürlich mehr als hinkt, habe ich mich stellenweise an das Match Randy Savage vs. Ricky Steamboat bei Wrestlemania III erinnert gefühlt. Hier wie dort wurde ein kleines Meisterwerk an Technik und Geschwindigkeit abgeliefert. Wer Allin immer noch als „Spot Monkey“ oder „kleinen Jeff Hardy“ abkanzelt, sollte sich dieses Match ansehen. Es war stellenweise fast schon beeindruckend, wie beide hier die Balance zwischen Technik, Geschwindigkeit, High Risk und Kayfabe gefunden hatten – und dabei kaum Pausen einbauten. Das Ende wirkte etwas cheap, sicher, aber es passt in das Storytelling beider Worker und ist insofern irgendwo konsequent. Irgendwann wird es ein weiteres Match mit einem cleanen Finish geben. Gestern war dieser Tag noch nicht, der wird aber kommen, und es wird ein großes Titelmatch sein. Dennoch: Ein ganz, ganz starker Opener. **** ½

Das zweite Match des Abends hatte bereits im Vorfeld bei vielen Fans den Status „Match of the Night“. Und viele Matches straucheln an dieser Hypothek. Nicht aber die Lucha Bros und FTR. Das war Tag Team Wrestling, wie ich es mir kaum besser vorstellen kann. Auch hier wurden die wichtigen Rezepte (Tempo, Spots und Matchgeschichte) in ein kleines Kunstwerk zusammengefasst. Wie beim Opener gab es kaum Zeit zum Luftholen. Das Tempo war sogar noch etwas höher, die Spots noch spektakulärer. Stellenweise fühlte ich mich an die guten alten NXT-Tag-Team-Matches zurückerinnert. Allerdings setzte die Paarung noch einen drauf! Ich weiß nicht, was man hier noch besser machen soll. Wenn, dann wäre es auch in diesem Match das Finish, das ein wenig random daherkam und mit den grünen Masken ein wenig unbeholfen wirkte. Wer will, mag dafür ein wenig bei der Gesamtnote abziehen. Ich bin geneigt, das auch zu tun. Aber nur, weil ich weiß, dass diese beiden Teams ein Match wie das gestrige locker wiederholen können – und sogar noch einen drauflegen werden. Daher „nur“ **** 3/4.

Etwas schwierig fand ich zunächst Danielson vs. Miro. Denn bei dieser Paarung war klar, dass die Darstellung des American Dragon als „Underdog“ nicht ohne weiteres klappen könnte, da er gegenüber Miro eindeutig der Favorit war. Alles andere als ein Sieg Danielsons wäre ein Upset, zumindest eine riesige Überraschung gewesen. Hinzu kommt, dass Miro weder Face noch Heel ist, sondern schlicht ein Heel, den man einfach mögen muss. Zumindest geht mir das so, und zwar seit er damals bei WWE als Rusev debütierte. Da hatte es Bryan etwas schwer, zumal stellenweise Miro wie der Underdog agierte. Dennoch haben beide ein feines Match abgeliefert, das mich im Laufe der Zeit immer mehr „abgeholt“ hat. Gerade die zweite Phase hatte es in sich und entschädigte für eine eher behäbige erste Hälfte. Beide Worker haben sehr stark gearbeitet und am Ende ein feines Wrestlingmacht abgeliefert. *** ¾

Unsicher war ich, wie man das Falls Count Anywhere 6 Man Tag Team Match aufziehen würde. Aber auch das hat unglaublich gut funktioniert und bot „Comicwrestling“ wie ich es erhofft hatte: Spots auf Spots, sehr schön inszeniert und mit dem nötigen Augenzwinkern beim Selling. Großartig find ich persönlich, dass man jedem Worker seinen Moment im Scheinwerferlicht und Jungle Boy Sieg sowie Payoff gegeben hat. Das tut seinem Charakter richtig gut und war auch an der Zeit. **** ¼

Danach ging es ein wenig runter mit der totalen Begeisterung. PAC und Cody vs. Black und Andrade war „something else“. Man mag so etwas oder sitzt mit fragendem Gesicht vorm Fernseher. Unabhängig von der Matchgeschichte und Codys weiterer Entwicklung wurde allerdings auch hier stellenweise sehr schönes Wrestling geboten, insbesondere von PAC und Andrade. *** ½.

Die Mädels taten mir stellenweise ein wenig leid. Sie hatten einen ungünstigen Spot auf der Card und gaben wirklich alles. Dennoch konnten sie weder das Publikum noch mich wirklich überzeugen. Auch wenn sie einige starke Spots boten, es fehlte zu oft am Matchfluss. In Sachen Damen-Division ist bei AEW immer noch Luft nach oben. ** ¾

Punk gegen Kingston war dann der Brawl, den man erwarten durfte. Und es ist immer wieder bemerkenswert, wie sehr die Crowd ein Match auf ein höheres Level heben kann. Unabhängig davon, wie erfrischend es ist, (anders als bei WWE) mal keine Fanreaktionen eingespielt zu bekommen, haben die Zuschauer jede Sekunde dieses Matches geliebt und gelebt. Kingston ist so was wie der „Edeljoker“ von AEW, der „Meister der Herzen“. Die Fans lieben ihn, er arbeitet hart im Ring und am Mic – und lässt seine Gegner gut aussehen, hier eben Punk. Beide schenkten sich nichts und workten sich in den elf Minuten den Hintern ab. Wenn man hier etwas kritisieren will, dann die Tatsache, dass beide GTS nicht so großartig aussahen und man den beiden im Vorfeld nicht mehr Zeit für ihre Fehde gegeben hat, denn was noch für Hammer-Promos möglich gewesen wären, sollte man sich lieber gar erst nicht vorstellen. *** ¾

Der Streetfight war dann wieder – zum Glück – in der Unterhaltungsecke angesiedelt. Und das muss man auch machen, wenn man mit Junior dos Santos, Andrei Arlovski und Dan Lambert ehemalige Asse aus anderen Sportarten einbringt. Natürlich sorgte wieder einmal Samy für die großen Spots. Sicher, man muss auch diese Art von Match mögen, aber (wir sind hier ja streng subjektiv) ich fand es ungemein unterhaltend, im Stile der „Stadium Stampede“-Matches. Und dass Jericho am Ende zu Ehren von Eddie sogar mit 51 Jahren noch einen Frog Splash zeigt, ist auch eine Randnotiz wert. *** ½

Dann kam der Main Event. Ich gehöre zu denjenigen, die Page zwar schätzen, aber nicht im Main Event sehen. Umso begeisterter bin ich darüber, dass er mich in diesem Match eines Besseren belehrt hat! Die ersten zehn Minuten waren wie erwartet bei großen Matches, nämlich die „Abtastphase“, das „Reinkommen“, was mir nie wirklich gefällt, aber bei solchen Kämpfen natürlich seine Berechtigung hat. Aber was dann kam, das war stellenweise fast schon so großartig wie bei der Okada vs. Omega-Matchserie 2017 / 2018. Einige irre Spots (bei einem landete Omega gefühlt wirklich auf seinem Kopf) und eine unglaublich gute Matchgeschichte mit einem perfekt inszenierten und aufgebauten Finish. Das war ganz sicher eines DER Matches des Jahres 2021, Ausführung und Aufbau dürften kaum zu toppen sein. Leute, das muss man gesehen haben! **** ¾

Was bleibt? Eine Show, die deutlich macht, warum AEW derzeit so frisch ist und wo bei WWE die Probleme liegen. Wie eingangs gesagt, bot „Full Gear“ nahezu alles, dabei war jedes Match von einem anderen Stil geprägt. Qualität wurde hier genauso groß geschrieben wie Vielfalt / Abwechslung (wohingegen bei WWE Standard und Schema F regieren).
Ich weiß nicht, wann 4 Stunden je so schnell vergangen sind. Also, falls ihr „Full Gear“ noch nicht gesehen haben solltet, schaut euch die Show einfach an. Es lohnt sich!

So long.

PEACE AND LOVE

Silent


Vergangene Ausgaben der Kolumne findet ihr hier:
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Neben dieser Kolumne bespricht Silent zusammen mit Chr!s jede Woche das aktuelle Geschehen in der Wrestlingwelt im „W-IPin Wrestling Weekly“ Wochenrückblick-Podcast hier auf dieser Seite. Hört bei Interesse gerne rein. Finden könnt ihr alle Podcasts hier:
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Und wenn ihr Kritik oder Fragen zur Kolumne oder zum Rest der Welt habt, dann schreibt gerne eine E-Mail an folgende Adresse: andreas.s@wrestling-infos.de




12 Antworten auf „Silents Sideview #3: Kritik zu AEW „Full Gear 2021“: Ein großes Wrestlingfest!“

Los Quégels sagt:

Amen lieber Andi 👍👍👍👍
Mega Show gewesen

Johannes sagt:

Ich kann diesen PPV in einem Satz Zusammenfassen. Wenn das schwächste Match des Abends ein verdammtes Bryan Danielson Match war mit 3.5, dann weißte bescheid wie der Rest war.

Rasgarius sagt:

Kann ich so unterschreiben, ich würde aber Punk und Eddie die 4 Sterne geben weil alles so verdammt gut rüber kam. Punk der nimmer richtig stehen kann und Eddie der immer wieder nach vorne prescht. Dieses Match zeigt wie wichtig gute Promos sind und dass man selbst mit glaub nichtmal zwei Wochen Aufbau Leute Heiss wie Frittenfett bekommen kann wenn man die Wrestler auch reden lässt und ihnen nicht Sachen vorschreibt die sie auswendig lernen müssen oder so nie sagen würden.

Die letzten zwei PPV’s waren für mich die besten des Jahres 2021

Cowboyshit sagt:

Was mir bei AEW am besten gefällt, ist das die Leute sich entwickeln und richtig Charakter und Ecken und Kanten haben dürfen. Man fiebert mit seinen Favoriten richtig mit. Es tauchen immer wieder neue Leute auf, es wird nie langweilig. Es wird von allem was geboten und man ist ehrlich zum Zuschauer! Grossen Respekt an Tony und seine gesamte Crew!

Ruffy sagt:

Meiner Meinung nach kommt das Match Punk gegen Kingston von den Sternen her zu schlecht weg. War für mich hochklassig. Die Intensität war überragend. Das Publikum war Mega drin. Und das nachdem vorher die Stimmung etwas runter ging. Das muss man erstmal schaffen. Mir wurde in dem Match alles verkauft. Beide Wrestler so am Limit gewesen, da ging es in der Matchgeschichte für mich dann auch mit einem Move der nicht 100 pro sitzt. Selbst Punk hat danach kein Cover machen können weil er uns glauben machen hat er ist am Limit angekommen, er kann nicht mehr. Und das haben die so gut rübergebracht das man das geglaubt hat. Von beiden mega selling. Deswegen für mich 4 1/2****

Thomas sagt:

Stimme dir voll zu! Neben dem guten Wrestling-Genuss habe ich so richtig Bock zu sehen, wie es weitergeht. Jungle Boy, der im Match zu erst keinen Conchairto ausführen wollte es aber am Ende doch tat. Jungle Boy wird nun langsam erwachsen 🙂
Und der Blickkontakt im Mainevent zwischen Page und einem der Bucks. Dieses kleine Nicken. Wie geht es da jetzt weiter? Wie wird sich die Elite verändern dadurch? Ich bin so gespannt!

Von und zu Haselschaf sagt:

Was ich noch erwähnt hätte, war das Video vor dem Mainevent, wo Page mit seinem Pferd die Straße entlang ritt. Ein kleines Sahnehäubchen auf der Storie.

Trasher77 sagt:

Von und zu Haselschaf… Bin ich voll bei Dir, fand ich mega. Auch das Darby Video ist so schön abgedreht. Einzig finde ich, dass man vielleicht für die Zukunft mehr an der Stage arbeiten könnte. Ein bissl stylischer und noch mehr auf den PPV abgerichtet.

Michhier sagt:

@Trasher77
Das video mit Adam Page ist mir gar nicht in Erinnerung geblieben, allerdings war ich da schon gut dabei und langsam müde. Aber bei dem video mit darby gebe ich dir recht, es passt von der art zu ihm und thematisiert auch die Story und den Einbau des Unfalls, glaube mit dem Onkel. Darum thematisch super.

NAcht sagt:

Eine Sache die mir immer wieder auffällt, ist wie over einige Talente bei AEW sind, die gr nicht unbedingt im Focus stehen. Bei der ganzen Superklique Fehde z.B. hab ich die ganze Zeit das Gefühl das Luchasaurus von allen am meisten over ist. Und das obwohl Adam Cole ja wirklich ein absoluter Puplikumsliebling ist und die anderen 5 eigentlich theoretisch alle deutlich eher „Maineven“ Material sind.

Charls sagt:

Was für eine geile Show. So stell ich mir Wrestling vor .Geile Matches wenig gelaber so muss das sein. Bin ich froh daß es AEW gibt.

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